Lokale Erinnerungsarbeit

Spekulationen und Mythen rund um die UHA Neubrandenburg

Die UHA ist bis heute von Mythen umrankt. Ein erster Fehlschluss rührte womöglich daher, dass die Anstalt in ihrer modernen Bauweise und Größe offenbar nicht alleinig für Staatsfeinde des Bezirkes geplant war. Politische Häftlinge des Bezirkes Neubrandenburg wurden auch in Gefängnissen des Ministeriums des Inneren auf Kreisebene in Demmin, Prenzlau und Alt Strelitz untergebracht. Die Größe der UHA Neubrandenburg schien somit überregional angelegt gewesen zu sein (Halbrock 2021: 75). Auch die moderne Ausstattung der Anstalt forderten eine Legitimierung durch die Stasi mit überregionalen Aufgaben. Hierzu existieren Dokumente und Nachweise. Alles darüber hinaus kann als Spekulation und Mythos bezeichnet werden. So sollen mutmaßlich 30-40 Zellen nicht für U-Häftlinge, sondern für „besondere“ Verurteilte vorgesehen gewesen sein. Diese Sonderhäftlinge sollen zudem angeblich in angrenzenden Werkstätten Barkas B1000 zu jenen Gefangenentransportern umgebaut haben, welche von der Stasi drangsalierten Personen ein unangenehmer Begriff sein sollten (Halbrock 2021: 69). Was sich von den Mutmaßungen belegen lässt, bleibt undurchsichtig. Jedoch wurde der im Sprachgebrauch verwendete Begriff der Spezialhaftanstalt immer mehr zu einem vorherrschenden Charaktermerkmal des Bauwerks. Bisherigen Quellen ist zu entnehmen, dass die UHA allerdings nur mit üblichen Aufgaben einer Stasi UHA betraut war. Dennoch mutierte das Bauwerk durch die es umrankende Mystik zur Sonderhaftanstalt, in der in öffentlicher Wahrnehmung ausschließlich enttarnte Doppelagenten:innen inhaftiert waren.

Einfluss der Mythen auf die Erinnerungsarbeit

Es ist eine ironische Wendung, dass nun gerade der „Mythos Spezialhaftanstalt“ und das Gerede darum als Gegenargument zum Gedenken an die UHA Neubrandenburg verwendet wird. Durch die Spekulationen werden Opfer der Stasi mit den Tätern gleichgesetzt. Die Unterstellungen in den Genuss einer „Spezialhaft“ als „ehemalige Spione“ oder auch „verhaftete Würdenträger“ gekommen zu sein, führt zu einer erneuten Diskreditierung und Schädigung jener, die unter der Stasi bereits gelitten haben. Weder ehemals dort inhaftierte Zeitzeug:innen noch die der UHA Neubrandenburg zuletzt zugeführten Fälle können als Spione u.a. bezeichnet werden.

Lokale Erinnerungsarbeit

Am 24. November 2021 fand ein erstes öffentliches Forum in Neubrandenburg statt, welches die Zukunft des Bauwerks und Möglichkeiten zur Erinnerung zum Thema hatte. Initiiert wurde das Forum durch die Stadt Neubrandenburg, die RAA-Geschichtswerkstatt zeitlupe (in Trägerschaft der RAA MV e.V.) und der Hochschule Neubrandenburg. Zudem wurden Historiker:innen und Vertreter:innen der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) geladen. Etwa 70 Bürger:innen nahmen diese Gelegenheit war, um öffentlich über die Möglichkeiten der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit der Stadt zu beraten. Es wurden partizipative Elemente bei der öffentlichen Debatte genutzt. Die teilweise kontroversen Positionen zur Erinnerungskultur der UHA und deren Ausgestaltung konnten angemessen moderiert und weiter gefördert werden. Besagte Erinnerungskultur umfasst eine fortwährende Suche nach Zeitzeug:innen, die von 1978-1990 in der UHA (Neustrelitz und Neubrandenburg) festgehalten wurden. Durch die Gespräche und Diskussionen zu der Frage, wie es mit dem Bauwerk weiter gehen soll, wurden auch Forderungen nach der Möglichkeit zur Begehung des Gebäudes laut.*

Als Antwort auf das öffentliche Interesse an einer Begehung, wurde am 28.06.2022 ein Aktionstag auf dem ehemaligen UHA-Gelände anberaumt. Dies war die erstmalige Öffnung für die allgemeine Öffentlichkeit nach 32 Jahren. Organisiert wurde der Aktionstag durch die Abteilung Kultur der Stadt Neubrandenburg, welche von der Hochschule Neubrandenburg und der RAA-Geschichtswerkstatt zeitlupe unterstützt wurde. Somit agierten die drei Institutionen erneut als Aktionsbündnis. Die lokale Außenstelle des Stasi-Unterlagen-Archiv (BstU) beteiligte sich mit einem begleitenden Angebot. Das Bauwerk konnte von Interessierten selbst besichtigt werden. Das Aktionsbündnis hat Führungen durch einen Gebäudeteil organisiert und eine Sicherheitsfirma für die Absicherung des Tags bestellt. Die Teilnahme an der Begehung musste im Vorfeld begrenzt werden, da es nach kurzer Zeit bereits mehr Interesse gab, als vor Ort hätte betreut werden können. Über 1300 Personen fanden sich schließlich in einem recht begrenzten Zeitfenster vor Ort auf dem Neubrandenburger Lindenberg ein, um das Bauwerk in Augenschein zu nehmen. Dazu zählten zahlreiche Schüler:innengruppen aus der Region MSE, Bürger:innen der Stadt, Studierende und interessierte Bundeswehrangehörige. Obwohl die Geschichte der UHA nicht unbedingt im Vordergrund der Veranstaltung stand, war sie vielerorts Disskusionsanlass. Somit kann der Aktionstag als Erfolg bezeichnet werden. Ein weiterer, wenn nicht der größte Erfolg des Tages, lag jedoch darin, dass sich ein Zeitzeuge vor Ort eingefunden hatte und die Begehung mit seinen Erfahrungen aus der Vergangenheit bereichern konnte.

* Ein Veranstaltungsbericht ist unter zeitlupe-nb.de/sites/default/files/dateien/Bericht_
Podiumsdiskussion_DDR-Stasi-Neubrandenburg_2021_3.pdf einzusehen (letzter Zugriff: 10.11.22).

Dialog mit Zeitzeug:innen

Zeitzeuge Thoralf Maaß

Während der Begehung vor Ort meldete sich der Zeitzeuge Thoralf Maaß. Seine spontane und berührende Suche nach seiner ehemaligen Zelle kann als Höhepunkt des Tages beschrieben werden. Er konnte während des Rundgangs vieles mehr aus der Zeit vor 1990 erläutern als bisher bekannt war. Seine Berichte die spezifische Verhörpraxis betreffend unterschieden sich nicht von den Schilderungen von Zeitzeug:innen anderer Bezirks-UHAs. Die Verhöre fanden auch in Neubrandenburg von Morgen bis Abend ununterbrochen statt, nur Samstagnachmittag und Sonntag wurden diese unterbrochen. Das Verhör wurde immer vom gleichen Vernehmer durchgeführt. Auch die „Kontrollen“ in 8-10 Minutenabständen, welche den Nachtschlaf nahezu unmöglich machten, sowie der Versuch der Dislokation gehörten zu den Methoden der Zersetzung, die täglich praktiziert wurden. Die Ausführungen des Zeitzeugen stellten bisher bekanntes Wissen in Frage. So konnte er besonders untergebrachte „Spezialhäftlinge“ nicht erkennen. Zudem wurden seinen Angaben zu Folge die Stehzellen in den Fluren nicht dazu verwendet, um die Prozedur „Wegdrehen! Gesicht zur Wand! Weitergehen“ anzuweisen. Es besteht die Annahme, dass die Funktion oder die Idee der Stehzellen eine andere gewesen sein könnte.  Die „Halbetagen“ im Gebäude sollten der Verwirrung dienen und erschwerten die Orientierung der Insassen, sodass es für sie kaum möglich zu sagen war, auf welcher Etage sie sich gerade befanden. Der Zeitzeuge konnte darüber hinaus mit dem Argument, durch den Umbau zur JVA sei jeglicher Bezug zur UHA verschwunden, aufräumen. Er sah den Eindruck und den Charakter der damaligen UHA weitgehend erhalten. Die Wirkung sei ebenso niederschlagend, wie sie es früher auch war. So bleibt das Bauwerk bis heute mit dem Geist Stasi-UHA Neubrandenburg behaftet.

Totale Überwachung in der UHA Neubrandenburg 1987-89 - mit Folgen für die Betroffenen bis heute

Digitale Grafiken: Anna F. Pöschel, 2023

 

Der partizipative Dialog mit den Zeiteug:innen aus der Region Mecklenburgische Seenplatte über die Aufarbeitung des Stasi-Unrechts, die 2021 ihren Beginn nahm (zeitlupe-Bericht I. Forum), konnten bis heute weitergeführt werden. An dieser Stelle bedanken sich die Projektbeteiligten der Hochschule Neubrandenburg für die Bereitschaft der Zeitzeug:innen, ihre Erfahrungen in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (UHA) in Neubrandenburg in der Stadt- und Hochschulöffentlichkeit sowie im Rahmen von narrativen Interviews mit Forschenden zu sprechen.

 

Von den Projekterträgen, die im Dialogprozess mit den Zeitzeug:innen entstanden sind, werden hier die Grafiken von Anna F. Pöschel aus 2023 für die Öffentlichkeit bereit gestellt. Diese Bilder sind im Dialogprozess selbst entstanden, in Auseinandersetzung mit den Aussagen der Zeitzeug:innen über ihre Hafterfahrungen in der UHA in Neubrandenburg 1987-89.

 

Narrativ-biografische Interviews mit Thoralf Maaß und Eva-Maria Schrader, die 1987-89 in der Untersuchungshaft-anstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Neubrandenburg inhaftiert waren, konnten von Prof. Dr. Kai Brauer, Prof.in Dr. Júlia Wéber sowie von Dr. Martin Müller-Butz (RAA-Geschichstwerkstatt zeitlupe) geführt wurden. Die Zeitzeug:innen stimmten der Veröffentlichung ihrer Namen in allen Projektberichten zu. Weitere biografische und themenzentrierte Interviews entstanden mit Klaus Krombholz und dem DDR-Bürgerrechtler Dr. Christian Halbrock.

 

 

 

Förderung: Hochschule Neubrandenburg | University of Applied Sciences