Erste Stufe der Industriellen Revolution II
Modernisierung der Infrastruktur
Neue Maschinen, wechselnde Arbeitsbedingungen, Arbeitsteilung, fortschreitende Rationalisierung und die Herausbildung von Kooperationen erforderten eine Überarbeitung und Erschließung des vorhandenen Raumes. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelten sich die vormals agrarisch geprägten Gesellschaften, zunächst gebunden an den Energieträger Kohle, in immer weiter erschlossene, industrialisierte und teils verstädternde Gebiete. So wurden Chausseen angelegt, der Schienenverkehr aufgebaut oder erste Kommunikationstechnologien erprobt.
In der Projektregion wurde zwischen 1855 und 1858 eine Chaussee zwischen Neustrelitz und Penzlin angelegt, die durch Peckatel führte. Sämtliche Chausseen der Umgebung entstanden ca. zwischen 1820 und 1860 und boten Anschlüsse an die Städte Waren, Neubrandenburg und Neustrelitz. Lesen Sie hier mehr zur Thematik. Ende des 19. Jahrhunderts wurden diese Städte auch Eisenbahnstandorte, um überregional Waren absetzen und benötigte Stoffe importieren zu können. Die Elektrifizierung ließ in weiten Teilen Mecklenburgs auf sich warten, da sie auf dem weiten Land wenig lukrativ erschien. Hier profitierten einige Regionen von der Initiative der Gutsbesitzer, die wirtschaftlichen und technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen waren, gleichzeitig aber auch Druck hinsichtlich einer Modernisierung ausgeübt wurde (Sens 2000: 35). Die Gutswirtschaft und der Ort Peckatel im Projektgebiet wurden in den 1880er Jahren auf Initiative des Besitzers elektrifiziert und so zogen langsam und stetig Überlandleitungen und Trafostationen in das Gebiet ein (Behrens & Hoffmann 2019: 236 f.).
Zwang zur Lohnarbeit – Migration
Urbanisierungs- und Industrialisierungsprozesse führen zu Entwicklungsunterschieden, die Abwanderung aus ländlichen Regionen zur Folge haben. Die Vorteile der sogenannten Verdichtungsräume wie beispielsweise Infrastruktur, Qualifikationsstrukturen oder auch Erholungsangebote überwiegen negative Aspekte wie Verschmutzung oder hohe Bodenpreise. Die Wirkung solcher Vorteile wird zusätzlich durch ein Festhalten vorindustrieller, oftmals überholter Regeln und Traditionen in agrarisch geprägten Landschaften verstärkt (Behrens & Hoffmann 2019: 237 f.)
Diese Entwicklung lässt sich im Projektgebiet sowie im restlichen Mecklenburg gut nachvollziehen. Im 19. Jahrhundert verließen über 200.000 Menschen die damaligen Großherzogtümer. Dabei handelte es sich zu 70 % um Tagelöhner, Knechte und Dienstboten, denen Möglichkeiten fehlten sich aus den gebundenen Verhältnissen „loszukaufen“ und eigene Bauernstellen zu erwerben (Behrens & Hoffmann 2019: 238). Die Tagelöhner waren rechtlos, ihnen fehlte das Widerspruchsrecht gegen die Gutsherrschaft. Die Gutsherren durften Prügel anwenden, über Eheschließungen entscheiden und kamen häufig ihren Pflichten wie der Pflege von Brunnen oder Wegen nicht nach (Krull 2019). Zwar wurde 1821 die Leibeigenschaft in Mecklenburg aufgehoben, doch entsprechende Gesetze zur Umsetzung fehlten und die Gutsherren hielten an der Ständeherrschaft fest. Nachdem das Selbstbewusstsein der Tagelöhner allerdings u. a. durch eine Beteiligung an den Befreiungskriegen gegen Napoleon stetig anwuchs, rebellierten sie 1848 gegen die weiterhin rückständigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Mecklenburgs (Behrens & Hoffmann 2019: 238). Es folgten drei Auswanderungswellen: 1850-1856, 1863-1873 und 1883-1893 (Lubinski 1887 und 1992).
Die Wanderungsbewegungen machten sich auch im Projektgebiet bemerkbar. Bekannt ist, dass aus den Orten Peckatel, Klein Vielen, Langhagen, Hartwigsdorf, Liepen und Jennyhof zwischen 1852 und 1865 21 Männer abwanderten. Bezieht man Ehefrauen und die durchschnittlichen vier Kinder in die Rechnung mit ein, muss es sich insgesamt um etwa 71 Menschen gehandelt haben – in Bezug auf die damalige Bevölkerung der Ortschaften entsprach das etwa einem Viertel der Bewohner (Krull 2019: 16 ff.).
Die zweite Abwanderungswelle, vor allem die Wanderungen nach 1870, fallen in die Zeit der zunehmenden Verflechtung der deutschen Landwirtschaft mit der Weltwirtschaft. Der Prozess wurde durch die bis zum Ende des Jahrhunderts andauernde Agrarkrise vor allem dem Preisverfall bei Getreide beschleunigt und verstärkt. Die Krise erforderte - unter der Nutzung wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse - eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, Mechanisierung, Spezialisierung und den Übergang zur Veredelungswirtshaft (überwiegende Verfütterung der pflanzlichen Erzeugnisse an das Vieh). Die Mecklenburgische Landwirtschaft entwickelte sich nach der Krise zu einem der modernsten und leistungsfähigsten landwirtschaftlichen Produktionsstandorte Deutschlands. Gleichzeitig wanderten im Zuge der dritten Abwanderungswelle viele Arbeiter ab. Der steigende Bedarf der Güter an Saisonarbeitskräften konnte daher nur noch durch Arbeitsmigranten gedeckt werden. 1911 wurden in Mecklenburg über 30.000 ausländische Wanderarbeiter vor allem aus den polnischen Gebieten gezählt. In vielen Gutsdörfern wurden sogenannte Schnitterkasernen zur Unterbringung der Arbeiter errichtet, die teilweise heute noch als Zeitzeugen in den Dörfern zu finden sind (Behrens & Hoffmann 2019: 239, Buchsteiner 2000: 49).
Ab dem Jahr 1917 beeinflusste eine Abfolge politisch und ökonomisch bedingter „Brüche“ die Entwicklung der Kulturlandschaft in der Projektregion und löste erneut Wanderungen aus. Bereits im Zuge der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre gingen viele Güter Konkurs und mussten aufgesiedelt werden. Ein endgültiges Ende der „Ära der (privaten) Gutswirtschaft“ brachte die Enteignung der Güter ab 100 ha im Zuge der Bodenreform 1945 (Behrens & Hoffmann 2019: 239). Damit endeten auch die daran gebundenen sozialen, politischen und rechtlichen Verhältnisse in den Gutsdörfern. Viele Gutseigentümer, die bis dato Teil der Funktionselite waren, flohen oder siedelten in die Bundesrepublik über. In den Folgejahren wuchs die Bevölkerung durch zahlreiche Flüchtlinge, Umsiedler und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stark an. Trotz der Nutzung jeglicher geeignet scheinender Gebäude, einschließlich der ehemaligen Gutshäuser, und der Errichtung von Neubauten stand kaum ausreichend Wohnraum zur Verfügung. Gleichzeitig wurden selbstständige Mittel- und Großbauern durch die beginnende Kollektivierung der Landwirtschaft sowie politische und ökonomische Zwänge unter Druck gesetzt. Zahlreiche Abwanderungen folgten (Behrens & Hoffmann 2019: 239 f.).
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Quellen
Abbildung 1:Planet Wissen (Hrsg.) 2022: 1835 fährt der erste Zug von Nürnberg nach Fürth. Link zum Beitrag. Letzter Zugriff: 21.02.2022.
Behrens, H. & Hoffmann, J. 2019: Zur Periodisierung des Landschaftswandels. In: Landschaft im Wandel. Erfassung – Bewertung – Wahrnehmung. Steffen Verlag: 159-253.
Buchsteiner, I. 2000: Die Modernisierung der agrarischen Verhältnisse in Mecklenburg und Pommern von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. In: Müller, K. (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Industrialisierung in Mecklenburg und Vorpommern. Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern Nr. 10, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Schwerin: 43-49.
Krull, G. 2019: Auswanderungen aus Mecklenburg im 19. Jahrhundert am Beispiel der Kirchgemeinde Peckatel. In: Klein Vielen e.V. (Hrsg.): Dorfzeitung – Zwischen Lieps und Havelquelle. Nr. 10: 16-18. Link zur Ausgabe.
Lubinski, A. 1987: Die überseeische Auswanderung aus Mecklenburg-Schwerin in der Zeit von 1984 bis 1914. Diplomarbeit, Universität Rostock.
Sens, I. 2000: Die Elektrifizierung im ländlichen Raum als Beispiel eines nichtindustriellen Modernisierungsprozesses. In: Müller, K. (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Industrialisierung in Mecklenburg und Vorpommern. Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern Nr. 10, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Schwerin: 33-42.