Ölschock und Renaissance der Braunkohle
Die „Renaissance“ der Braunkohle wurde ein gravierendes Problem für den Naturschutz. Sie war eine Folge des Ölschocks, d. h. der drastischen Verteuerung des Rohöls durch die OPEC im Jahre 1973, aber auch der Verteuerung anderer Rohstoffe, die die DDR importieren musste. Rohöl verteuerte sich bis 1974 um das Fünffache. Diese Entwicklung ging auch 1975-1980 weiter.
Die Strategie der SED-Führung bestand darin, Öl durch Braunkohle zu ersetzen. Für die erforderlichen Umrüstungsmaßnahmen wurden erhebliche Investitionen getätigt, die für Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen andernorts fehlten. Ehrgeizige konsumorientierte Programme wie das Wohnungsbauprogramm trugen dazu bei, dass die Investitionsquote sank, beschleunigten damit den Verschleiß in der Industrie und führten „nebenbei“ zur Bedeutungs-Minderung des Umweltschutzes in Jahres- und 5-Jahres-Plänen (Paucke 1994).
Die ständige Erweiterung der Braunkohleförderung (aber auch die Entwicklung des Wohnungsbaus auf neu erschlossenen Standorten) führte zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Für den Braunkohlenbergbau wurden der Landwirtschaft von 1971-1985 DDR-weit insgesamt 45.729 ha entzogen. Die Wiederurbarmachung der Rückgabeflächen blieb im gleichen Zeitraum mit 12.945 ha quantitativ und qualitativ weit hinter dem Flächenentzug und den Ansprüchen an die Nutzbarkeit des Bodens zurück. Wurden im Zeitraum 1971-1975 noch ca. 35 % (4.914 ha) des entzogenen Bodens (14.282 ha) rekultiviert, lag der prozentuale Anteil 1981-1985 nur noch bei 19 % (15.930 ha Entzug/3.038 ha Rekultivierung).
Welche Folgen die Renaissance der Braunkohle für den Naturschutz hatte, lässt sich anhand des Bezirkes Cottbus zeigen: Der Bezirk Cottbus hatte sich in der DDR bereits seit Erarbeitung eines Kohle- und Energieprogramms für die DDR 1957 zu einem Kohle- und Energiebezirk entwickelt. Im Osten des Bezirks lagerten 45 % der industriell gewinnbaren Braunkohlenvorräte der DDR. In den drei Braunkohlenbetrieben VE Braunkohlenkombinat Senftenberg, VE Kombinat Cottbus und VEB Schwarze Pumpe Lauchhammer arbeiteten in den 1980er Jahren etwa 79.000 Menschen, die 49,5 % der Industriebeschäftigten ausmachten. Anfang der 1980er Jahre beschloss die SED- und Staatsführung eine erhebliche Ausweitung des Braunkohlentagebaus. Die Fördermenge sollte im Bezirk Cottbus von 148,9 Mio. t 1980 auf 200 Mio. t 1990 steigen und auf diesem Niveau „Jahrzehnte“ verbleiben. Der Bezirkstag Cottbus stellte dafür 45 Braunkohlenlagerstätten mit einer Fläche von 172.000 ha unter Schutz (Bergbauschutzgebiete). Das waren 21 % der Gesamtfläche des Bezirks.
1980 waren 11 Tagebaue in Betrieb, bis 1989 nahmen sechs weitere die Kohleförderung auf, fünf – so die Planung – sollten wegen Auskohlung eingestellt werden. Im Jahre 2000 sollten 21 Tagebaue den Betrieb aufgenommen haben. 300 Siedlungen (Gemeinden, Ortsteile und Wohnplätze) wären vom Braunkohlentagebau betroffen gewesen.
In den Braunkohletagebaugebieten stand der Naturschutz auf mehr oder weniger verlorenem Posten. Devastierung, Grundwasserabsenkung, Reliefveränderungen und zunehmende Umweltbelastungen durch Verschmutzung der Luft und des Wassers sowie Abraumdeponien waren Folgen des Braunkohlentagebaus. Bei vollständiger Umsetzung der Abbauplanungen wären 12 NSG mit einer Fläche von 1.044 ha, 14 LSG zu großen Teilen und 17 Parkanlagen mit 129 ha abgebaggert worden. Zusätzlich wären 16 NSG und 32 Parkanlagen über lange Zeit vom Grundwasserentzug betroffen gewesen (Wittig 1982: 4-17).
Im April 1989 legte das ILN ein „Konzept zur Entwicklung der Naturschutzarbeit im Kreis Weißwasser unter der Ausweitung des Braunkohlenbergbaues ab 1988 (Bestandteil der komplexterritorialen Raumstudie Weißwasser)“ vor. Es enthielt düstere Zukunftsaussichten für den Naturschutz: Der Kreis Weißwasser wäre durch die Ausweitung des Braunkohlenbergbaues zu 62 % devastiert worden. Für ca. 90 % des Kreisgebietes wurde mit Grundwasserabsenkungen und für eine Reihe von Naturschutzobjekten mit einer Verstärkung immissionsbedingter Schäden gerechnet. In den durch Verlust bedrohten Schutzgebieten sollten so viel wie möglich Informationen gesammelt werden, um den einstigen Schutzwert zu dokumentieren. Ferner sollten u. a. Genressourcen gesichert und versucht werden, bestimmte Tier- und Pflanzenarten auf anderen Standorten anzusiedeln.