Geheimsache Umwelt und oppositionelle Umweltbewegung
Es nimmt nicht wunder, dass angesichts dieser sich abzeichnenden, erst 1990 im „Umweltbericht der DDR“ bilanzierten, Situation Umweltdaten für die DDR-Regierung zu einer „brisanten Ware“ wurden und das Präsidium des Ministerrates der DDR am 16.11.1982 unter der Nummer 02-67/I.2/82 die „Anordnung zur Gewinnung oder Bearbeitung und zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt in der DDR“ erließ, mit der Daten zur Umwelt unter Verschluss gestellt wurden. Ergänzt wurde diese Anordnung am 27.4.1982 durch eine zweite. Diese Anordnungen waren ein Spiegelbild politischer Erstarrung und fehlender Dialogbereitschaft der SED-Führung.
Es nimmt somit auch nicht wunder, dass unter diesen Rahmenbedingungen eine oppositionelle bzw. autonome Umweltbewegung wuchs. Eine erste autonome Umweltgruppe war 1979 aus „Baumpflanzaktionen“ kirchlicher Jugendkreise in Schwerin entstanden. Ab Anfang 1981 wurden von der Schweriner Gruppe um Jörn Mothes und Nikolaus Voss jährliche Ökologieseminare (Schweriner Winterseminare) ins Leben gerufen, die bis 1983 das wichtigste Podium für die organisatorische Vernetzung der Umweltbewegung waren. Die Kirche war nahezu der einzige Raum, wo eine unabhängige Ökologiebewegung entstehen konnte (Beleites 2007: 185; Gensichen 1994 und 2007). Zu einem organisatorischen Zentrum der Bewegung wurde dann das Kirchliche Forschungsheim in Wittenberg, das 1981 das erste Heft der Zeitschrift „Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch-Erde“ herausgab. Seit 1983 gab es im Kirchlichen Forschungsheim auf Initiative der Kirche jährliche Treffen von Vertretern kirchlicher Umweltgruppen.
Am 2. September 1986 gründete sich eine „Umweltbibliothek“ im Umfeld der Zionsgemeinde in Berlin auf Initiative von Mitgliedern eines vorher bestehenden Friedens- und Umweltkreises der Pfarr- und Glaubensgemeinde in Berlin-Lichtenberg, die im gleichen Jahr das erste Heft der „Umweltblätter“ herausgab. Die unabhängigen Umweltgruppen umfassten 1985 bis 1989 ca. 60 bis 65 Gruppen mit 550 bis 850 Personen. 1988 vernetzten sie sich zum „Netzwerk Arche“, 1990 dann zur „Grünen Liga“.
Zu den Schwerpunkten der Arbeit dieser Gruppen gehörten regionale Protestaktionen insbesondere im Umfeld von „Kohle, Chemie, Waldsterben, Autobahnbau, Müll, Uran, KKW und LPG“ (Beleites 2007: 187). Das Wachstum der Umweltgruppen korrespondierte mit der fehlenden Integrationskraft beispielsweise des Kulturbundes. Die dort am 27. Mai 1980 gegründete „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ sollte nicht nur den Naturschützern eine Heimstatt bieten, sondern auch den Umweltbewegten, die sich insbesondere mit städtisch-industriellen Umweltproblemen befassten und sich in Arbeitsgruppen oder Interessengemeinschaften Stadtökologie sammelten. 1987 wurden in einer Kulturbund-Statistik 380 Stadtökologie-Gruppen mit 7.000 Mitgliedern gezählt. Diese Heimstattfunktion erfüllte der Kulturbund jedoch für diese Gruppen nicht.
Die geschilderten Umweltprobleme und die Arbeit der autonomen Umweltbewegung sowie der kritischen Umweltgruppen im Kulturbund trugen dazu bei, dass „gesunde Umwelt“ 1989 in der Werteskala der Bürger und Bürgerinnen der DDR eine Spitzenposition einnahm.
Literatur zum Weiterlesen
Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V. (Hg.): Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte. Band 3: Beruflicher, ehrenamtlicher und freiwilliger Umweltschutz. München 2007.
Beleites, M.: Pechblende. Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen. Hg.: Kirchliches Forschungsheim Wittenberg. Wittenberg 1988.
Gensichen, H.-P.: Das Umweltengagement in den evangelischen Kirchen in der DDR. In: Behrens, H. & Paucke, H. (Hg.): Umweltgeschichte: Wissenschaft und Praxis. Forum Wissenschaft Studien 27. Marburg 1994: 65-83.
Rüddenklau, W.: Störenfriede. ddr-opposition 1986-1989. Berlin 1992.
Jordan, C. & Kloth, H.-M.: Arche Nova. Opposition in der DDR. Das "Grün-Ökologische Netzwerk Arche" 1988-1990. Berlin 1995.