Dr. Lutz Reichhoff
Erinnerungen zur Stellung des Naturschutzes und zum Verhältnis von Naturschutz und Landschaftspflege
Wir sahen dieses Problem der Intensivierung, das man grundsätzlich auch nicht abwenden konnte. Uns war klar geworden, dass wir eine neue Argumentationsgrundlage brauchten, die von dem alten Naturschutz, von diesem Dokumentationsnaturschutz, wegging und die Erfordernisse einer konsequenten Naturschutzarbeit anders begründete. Ich bin heute noch davon überzeugt, dass das mit einer kulturellen Begründung nicht zu machen ist. Auch die internationalen Programme bestätigen das. Kulturelle, ethische und andere Begründungen gehören zum Naturschutz dazu. Wenn der Naturschutz sich aber durchsetzen will, braucht er letztendlich ökonomische oder ökonomisch vergleichbare Ansätze. Der Umweltschutz hat das vorgemacht. Er ist ja dadurch gekennzeichnet, dass er in die Produktionsprozesse eingestiegen ist, dass er Technologien gefördert und entwickelt hat, dass er Richtwerte und Normen festgesetzt hat, nach denen sich die Industrie richten muss. Das hat der Naturschutz nie geschafft. Er blieb immer etwas Außenstehendes und das wollten wir überwinden. Die Genressource war ein quasi-ökonomischer Ansatz, den wir dafür gesehen haben. Diese ganze Genproblematik kochte zu diesem Zeitpunkt ja hoch. Auch innerhalb des MAB-Programmes war das klar eingebunden und über das MAB-Programm sind wir da eingestiegen. Das hat natürlich immer was mit Personen zu tun. Siegfried Schlosser, der aus der Pflanzenzüchtung kam, war ja inzwischen im Institut. Wir suchten nach einem solchen Ansatz, Schlosser brachte ihn, wir haben ihn übernommen. So konnten wir zu dritt, Siegfried Schlosser, Wolfgang Böhnert und ich, über diese Arten- und Formenmannigfaltigkeit, genetische Vielfalt – biologische Vielfalt heute – ein völlig neues Naturschutzkonzept aufbauen. Wir hatten damals auch: genetische Vielfalt, innerartliche Vielfalt, Artenvielfalt, Biotopvielfalt. Wir hatten das nur getrennt in Strategie und Taktik. Es ging um Vielfalt, um eine Orientierung auf die Erhaltung dessen, was am stärksten gefährdet war. Das hielten wir für einen auch ökonomisch begründeten Ansatz, weil ja in der Genressource die ökonomische Verwertbarkeit und die Begründung schon im Begriff steckt. Das hat sich dann in Rio auch bestätigt, denn biologische Vielfalt ist ja nicht nur die Vielfalt an sich, sondern das ist die Nutzbarkeit der Vielfalt und die gerechte Verteilung der Erfolge aus dieser Nutzbarkeit. Und das war eigentlich unser Gedanke damals, aber schon viel früher, Anfang der 1980er Jahre. [...]
Ich denke, dass der Naturschutz nicht erfolgreich sein kann, wenn es ihm nicht gelingt, sich in die land-, forst- und wasserwirtschaftliche Produktion zu integrieren und dort mit die Maßstäbe zu setzen. Man sieht heute ganz eindeutig, dass die Ziele der biologischen Vielfalt nicht erreicht werden. Was man bis 2010 erreichen wollte, ist überhaupt nicht erreicht worden, weil man dafür die Hebel nicht in der Hand hat. Die Hebel liegen ganz woanders.
Der beschriebene Ansatz einer veränderten Naturschutzstrategie schlug sich auch in gesetzlichen Grundlagen nieder, so in der Ersten Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz, also der Naturschutzverordnung von 1989. Das hatte wieder etwas mit den Zuständigkeiten zu tun. Das Institut hat im Rahmen der Gesetzesentwicklung – mit heutigen Begriffen ausgedrückt – die Referentenentwürfe geschrieben. Für die neue DVO bekamen wir auch den Auftrag, einen Entwurf zu schreiben und den Auftrag kriegte ich. Ich musste den Entwurf für die DVO schreiben, natürlich zusammen mit den Mitarbeitern des Instituts, vor allen Dingen der regionalen Stellen. Da war es nun natürlich mein Wille und mein Ziel, diese entwickelten theoretischen Vorstellungen in die DVO einfließen zu lassen – natürlich immer in dem Maße, wie man das vertreten konnte. Das war wohl gelungen. In der Präambel stand ja die Arten- und Formenvielfalt schon drin und in den einzelnen Passagen ist der Arten- und Biotopschutz wesentlich aufgewertet worden. Nur ist diese DVO überhaupt nicht zur Wirkung gekommen. 1989 ist sie erst erschienen, so dass man das nur noch theoretisch betrachten kann.
Wir hatten eine Naturschutzvorstellung, die von der heutigen abwich. Wir waren der Meinung, dass Naturschutz und Landschaftspflege zwei eigenständige Bereiche sind, die sich mit dem Umweltschutz zusammen im Rahmen der Landeskultur zu einem Ganzen fügen. Wir vertraten die Auffassung, dass Landschaftspflege mit ihrem gestalterischen Ansatz eigentlich etwas ganz anderes ist als Naturschutz mit seinem konservierenden Ansatz. Das war in dieser Theorie verankert worden. Die Erste DVO ist damals auch so geschrieben worden, dass noch eine DVO zur Landschaftspflege folgen sollte. Das ist uns damals noch nicht gelungen, aber es sollte dann der nächste Schritt werden, sodass Landschaftspflege und Naturschutz dann zwei Bereiche gewesen wären. Ich würde das heute noch vertreten, Landschaftspflege eigentlich als eigenständig zu betrachten und die Ziele eigenständig zu formulieren. In der Bundesrepublik ist ja dieser einheitliche Doppelbegriff von Naturschutz und Landschaftspflege entwickelt worden und so ist er bis heute im Gesetz.
Nach unseren damaligen Vorstellungen hätte sich Naturschutz inhaltlich konzentriert, nicht räumlich. Er hätte sich, wie wir heute sagen, auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt konzentriert und hätte alle dafür im Artenschutz und Biotopschutz notwendigen Mittel angewandt. Die Landschaftspflege hingegen hätte sich auf die Fragen der rationellen Nutzung der Landschaft, auf die Gestaltung der Landschaft, auf historische Kulturlandschaften, auf Naturdenkmale, auf die Zeugen der Landschaftsgeschichte bezogen. Darin liegt also ein stärker gestalterischer Ansatz. Weil Naturschutz und Landschaftspflege auch in der DDR in einem Gesetz verankert waren, wollten wir das trennen.
Literatur zum Weiterlesen
Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V. (Hg.), Lutz Reichhoff & Uwe Wegener (Bearb.): ILN. Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz Halle. Forschungsgeschichte des ersten deutschen Naturschutzinstituts Berlin 2016.
Behrens, H. und Hoffmann, J. (Hg..): Naturschutzgeschichte(n) – Lebenswege zwischen Ostseeküste und Erzgebirge. Friedland 2013.
Henschel, P.; Reichhoff, L.: Die Arbeitsgruppe Halle/Dessau des ILN 1953 bis 1991. In: Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V. (Hg.): Naturschutz in den Neuen Bundesländern - Ein Rückblick. Berlin 2001: 375-384.
Zur Person
geboren 1948
Biologiestudium
seit 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Halle/Dessau des Instituts für Landschaftsforschung und Naturschutz; 1986 bis 1988 Leiter der ILN-Arbeitsgruppe Potsdam, 1988 bis 1990 Forschungsteilkomplexleiter Agrarraumplanung und stellvertretender Direktor des ILN; 1990 Referatsleiter, Unterabteilungsleiter Naturschutz im Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR; heute Geschäftsführer der Landschaftsplanungsbüros LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH/GbR
ehrenamtliche Tätigkeit seit 1963 in Fachgruppen Botanik, Mykologie und Ornithologie in Dessau, 1980 bis 1990 Mitglied des Bezirksvorstandes der GNU Halle, 1982 bis 1990 Vorsitzender des GNU Kreisvorstandes Dessau, seit 1990 Mitglied mehrerer Fördervereine für Großschutzgebiete Sachsen-Anhalts